Hintergrund
In seiner Entscheidung vom 25.05.2023 (Rs. C-141/22) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) erstmals den Begriff „Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union“ konkretisiert. Der Fall, der diesem Urteil zugrunde lag, betraf zwei Produzenten von Nahrungsergänzungsmitteln, die Buchweizenkeimlingsmehl mit hohem Spermidingehalt herstellten.
Spermidin ist ein biogenes Polyamin, das in den Zellen aller Organismen in unterschiedlichen Konzentrationen vorkommt. Zur Herstellung des Mehls wird Buchweizensaat in einer Lösung mit synthetischem Spermidin zu Sprossen gekeimt, die dann zu Mehl verarbeitet werden. Ein Unternehmen klagte gegen das andere, mit der Begründung, dass das Produkt als neuartiges Lebensmittel nach der Verordnung (EU) 2015/2283 einer Zulassung bedarf.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH stellte fest, dass das spermidinhaltige Mehl vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union verzehrt wurde und dass es aus Pflanzen oder Pflanzenteilen besteht. Die Ausnahmeregelung der Verordnung gilt nur, wenn zwei kumulative Bedingungen erfüllt sind:
Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union: Der EuGH stellte klar, dass eine „Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union“ über mindestens 25 Jahre nachgewiesen sein muss. Dies lehnt sich an die Definition für Drittland an.
Verfahren zur Gewinnung: Das Lebensmittel muss aus Pflanzen stammen, die mit herkömmlichen oder nicht-herkömmlichen Vermehrungsverfahren gewonnen wurden, die vor dem 15. Mai 1997 in der Union eingesetzt wurden. Diese Verfahren dürfen keine bedeutenden Veränderungen der Zusammensetzung oder Struktur des Lebensmittels bewirken.
Da das spermidinhaltige Mehl keine 25-jährige Verwendungsgeschichte in der Union aufweist und die Anreicherung von Spermidin kein herkömmliches Vermehrungsverfahren darstellt, verneinte der EuGH die Anwendung der Ausnahmeregelung.
Anmerkungen und Auswirkungen
Die Gleichsetzung der „Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union“ mit der in einem Drittland ist aus rechtlicher Sicht umstritten. Es stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber bewusst auf eine detaillierte Definition verzichtet hat, um eine flexiblere Prüfung zu ermöglichen.
Für betroffene Unternehmen bedeutet dies, dass der Nachweis einer 25-jährigen Verwendungsgeschichte äußerst schwierig ist, insbesondere da gesetzliche Aufbewahrungsfristen oft nur 10 Jahre betragen. Eine zentrale Datenbank, die solche Verwendungsnachweise umfasst, existiert nicht, was die Beweisführung weiter erschwert.
Diese Entscheidung verdeutlicht die Komplexität des Rechtsbereichs neuartiger Lebensmittel und die Herausforderungen für Unternehmen, die innovative Produkte auf den Markt bringen wollen.