EuGH entscheidet über Anreicherung von Bio-Drinks durch Algen

EuGH entscheidet über Anreicherung von Bio-Drinks durch Algen

Am 29.04.2021 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass der Zusatz der Alge Lithothamnium calcareum bei der Herstellung von Reis- und Sojagetränken unzulässig ist, wenn diese als biologisch/ökologisch ausgelobt werden. Die Verordnung (EG) Nr. 889/2008 stehe dem entgegen.

Das Urteil ist im Volltext hier abrufbar.

Urteil

Dem Urteil liegt ein seit 2005 laufender Rechtsstreit zwischen einem Hersteller von Bio-Getränken und dem Land Nordrhein-Westfalen zugrunde. Der Hersteller setzt in seinen Getränken die Alge Lithothamnium calcareum ein. Dabei handelt es sich um eine Kalkrotalge, die überwiegend aus Calcium- und Magnesiumcarbonat besteht. Der Einsatz in den Getränken erfolgt in Form eines Pulvers, das aus den gereinigten, gemahlenen und getrockneten Sedimenten der abgestorbenen Alge gewonnen wird.
 
Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof die folgenden drei Fragen zur Entscheidung vorgelegt und um Auslegung des EU-Rechts gebeten:
 

  1. Ist Art. 28 in Verbindung mit Nr. 1.3 des Anhangs IX der Verordnung (EG) Nr. 889/2008 dahin auszulegen, dass bei der Verarbeitung ökologischer/biologischer Lebensmittel die Alge Lithothamnium calcareum als Zutat verwendet werden darf?
     
  2. Für den Fall, dass die Frage zu bejahen ist: Ist auch die Verwendung von abgestorbenen Algen zugelassen?
     
  3. Für den Fall, dass auch die zweite Frage zu bejahen ist: Darf für ein Erzeugnis, das die (abgestorbene) Alge Lithothamnium calcareum als Zutat enthält und mit der Angabe „Bio“ gekennzeichnet ist, die Bezeichnung „mit Calcium“, „mit calciumreicher Seealge“ oder „mit hochwertigem Calcium aus der Seealge Lithothamnium“ verwendet werden?

 
Der Europäische Gerichtshof hat die beiden ersten Fragen gemeinsam beantwortet und zunächst festgestellt, dass entgegen der Auffassung des Landes Nordrhein-Westfalen die Regelung des Anhangs IX Nr. 1.3 der Verordnung (EG) Nr. 889/2008 dahingehend auszulegen ist, dass die dort aufgeführten Algen nicht essbar sein müssen. Die Regelung erfasse alle Algen, einschließlich Seetang. Die einzige Bedingung bestehe darin, dass sie für die Herstellung nicht ökologischer/nicht biologischer Lebensmittel verwendet werden dürfen. Auch wenn der EuGH dies hier nicht ausdrücklich feststellt, gibt er damit mittelbar zu verstehen, dass auch abgestorbene Algen zur Herstellung verwendet werden dürfen, solange dies auch bei nicht ökologischen/nicht biologischen Lebensmitteln der Fall ist.
 
Weiter weist der EuGH in seinem Urteil allerdings darauf hin, dass Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 834/2007, der durch die Regelung des Anhangs IX der Verordnung (EG) Nr. 889/2008 umgesetzt werden soll, bestimmte Kriterien enthält, die erfüllt sein müssen, damit eine nicht ökologische/nicht biologische Zutat bei der Herstellung eines ökologischen/biologischen Lebensmittels verwendet werden darf. Danach darf es zum einen keine zugelassenen Alternativen geben. Diese Voraussetzung sei vorliegend voraussichtlich erfüllt. Zum anderen sei jedoch auch vorausgesetzt, dass ohne das entsprechende Erzeugnis oder den entsprechenden Stoff das Lebensmittel nicht hergestellt oder haltbar gemacht werden könne oder dass ernährungsspezifische Anforderungen, die aufgrund des Unionsrechts festgelegt wurden, anderenfalls nicht eingehalten werden könnten. Im Hinblick auf dieses Kriterium sei nicht ersichtlich, dass ohne den Zusatz des streitgegenständlichen Pulvers die in Rede stehenden ökologischen/biologischen Reis- und Sojagetränke nicht hergestellt oder haltbar gemacht werden könnten oder dass ernährungsspezifische Anforderungen des Unionsrechts bestünden, die nicht eingehalten werden könnten. Daher sei davon auszugehen, dass dieses Kriterium nicht erfüllt sei und die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 889/2008 in Verbindung mit Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 dahingehend auszulegen seien, dass sie der Verwendung eines aus den gereinigten, getrockneten und gemahlenen Sedimenten der Alge Lithothamnium calcareium gewonnenen Pulvers als nicht ökologische/nicht biologische Zutat landwirtschaftlichen Ursprungs bei der Verarbeitung ökologischer/biologischer Lebensmittel wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ökologischen/biologischen Reis- und Sojagetränken zu deren Anreicherung mit Calcium entgegenstünden.
 
Schließlich weist der EuGH darauf hin, dass diese Auslegung auch durch die Ziele der Verordnung bestätigt werde. Bei der Herstellung von ökologischen/biologischen Lebensmitteln bestünden strenge Vorschriften für den Zusatz von Mineralstoffen. Diese Vorschriften könnten umgangen werden, wenn der Zusatz von Lithothamnium calcareum zur Anreicherung ökologischer/biologischer Soja- und Reisgetränke mit Calcium erlaubt wäre. Dies liefe den Zielen der Regelungen zuwider, weshalb der Zusatz nicht zugelassen sei.
 
Mit den in der dritten Vorlagefrage dargestellten Auslobungen musste sich der EuGH somit nicht mehr befassen. Im Ergebnis hat damit der EuGH auch die bereits im Vorfeld von der EU-Kommission geäußerte Rechtsauffassung bestätigt. Auch die Kommission hatte im Umfeld des Verfahrens gegenüber den Wirtschaftsbeteiligten bereits ihre Auffassung publik gemacht, nach der die Verwendung von Lithothamnium calcareum in Bio-Lebensmitteln unzulässig sei. Interessanterweise hat die Kommission dies jedoch juristisch auf eine andere Begründung gestützt als nunmehr der EuGH.
 
Das Streitverfahren zwischen dem Hersteller und dem Land Nordrhein-Westfalen hat damit noch keinen endgültigen Abschluss gefunden, da das Bundesverwaltungsgericht auf Grundlage der EuGH-Entscheidung noch ein eigenes Urteil fällen muss. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu prüfen, ob es Alternativen für die Verwendung von Lithothamnium calcareum gibt und ob das daraus gewonnene Pulver für die Herstellung oder Haltbarmachung der Bio-Getränke erforderlich ist. Eine abweichende Entscheidung ist hier jedoch nicht zu erwarten.
 

Anmerkung

Abzuwarten bleibt dagegen, ob und ggf. in welchen Fällen das Urteil auf andere Zutaten nicht ökologischen/nicht biologischen Ursprungs übertragen werden kann oder sich hieraus wesentliche Erkenntnisse für vergleichbare Fälle ziehen lassen.

Quelle:

cibus Rechtsanwälte
Auf der Brück 46
51645 Gummersbach